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Baustelle Rathauserweiterung: Archäologen stehen wie vor einem offenen Geschichtsbuch
Die Baustelle für die Rostocker Rathauserweiterung präsentiert sich zunehmend als offenes Geschichtsbuch. Nach und nach haben die Archäologen alle Keller der historischen Hausnummern An der Hege 4 bis 10 freigelegt. Zu Jahresbeginn war das nördliche Ende des Baugrundstücks in Richtung Vogelsang erreicht und Grabungsleiter Dr. Jörg Ansorge und sein Team konnten sich u.a. in Richtung Westen (Neuer Markt) orientieren.
Grundstücksgrenzen haben sich immer wieder geändert
Beim Blick auf die freigelegten Keller der mittelalterlichen Giebelhäuser fällt auf, dass sich die Grundstücksgrenzen im Lauf der Jahrhunderte immer wieder geändert haben. Neuere Backsteinmauern weisen hier und da einen anderen Verlauf auf als die darunter liegenden älteren Strukturen. Teilweise liegen mehrere dieser Strukturen übereinander, weil nach Ereignissen wie dem großen Stadtbrand 1677 neue Gebäude errichtet wurden. So lässt es sich auch erklären, dass die Hausnummern der historischen Giebelhäuser 4 bis 10 nicht exakt mit der Zählung im letzten offiziellen Adressbuch aus den 1930er Jahren übereinstimmen. Das Giebelhaus Nr. „4“ war zuletzt Hausnummer 6, die Häuser 5 bis 7 wurden nach Neubau zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur neuen „7“.
Fotos dokumentieren den Wandel
Diese ständige Weiterentwicklung An der Hege ist seit dem 19. Jahrhundert durch Fotos dokumentiert. Die alte Nummer 4 (neue 6) diente bis ca. 1870 als „Schmiedeschütting“ (Amtshaus/Kneipe der Schmiede). Es folgte ein gründerzeitlicher Umbau um 1880 mit neuer Fassade und einer Aufstockung des Hauses um ein Geschoss. Deutliche Spuren des Umbaus konnten auch im Keller dokumentiert werden. Ab 1929 betrieb Gastwirt Heinrich Wulff an dieser Adresse sein „Hansahaus“. Daneben, in der neuen Nr. 7, existierte im späten 19. Jahrhundert eine Möbelfabrik, in Nachfolge des „Hotels du Saxe“. Das anstelle zweier früherer Giebelhäuser errichtete Gebäude wurde 1942 bei einem Bombentreffer zerstört. Darauf weisen die mit Kriegsschutt verfüllten Keller hin. Besonderheiten im mittelalterlichen Giebelhauskeller Nr. 4 waren eine mittelalterliche Feldsteintreppe und ein mehrere Meter tiefer „Befund“. Dabei handelt es sich vielleicht um einen Brunnen, der allerdings aus statischen Gründen erst im Zuge des Baugrubenaushubs untersucht werden kann.
Zurück ins 13. Jahrhundert und zahlreiche Funde
Unter dem Kellerfußboden dieses Hauses wurden Reste eines Holzkellers entdeckt. Dr. Ansorge datiert die Entstehungszeit vor die Mitte des 13. Jahrhunderts. Das Besondere: Der Keller liegt noch tiefer als die Reste des vermutlich ältesten Steinhauses der Mittelstadt. Er ist somit vielleicht noch älter. „Der Keller wurde nach einer gewissen Nutzungszeit durch einen Brand beschädigt, Reste des verkohlten Holzfußbodens blieben erhalten“, berichtet Dr. Ansorge. „Darauf lagen ca. 20 Vorratstöpfe aus grauer Irdenware; teilweise sogar vollständig, aber in der Masse zerscherbt und mit deutlichen Brandspuren. Sie stammen alle aus einheimischer Produktion.“ Der Experte freut sich besonders über die Formenvielfalt der Töpfe, u.a. Kugeltöpfe und Standlappenkannen sowie ein Grapentopf. Die Stücke sind wichtige Hinweisgeber auf die Aufgabezeit des Holzkellers. Flachbodentöpfe, die erst um 1260 aufkamen, wurden an dieser Stelle nämlich nicht geborgen.
Und wie konnte es dazu gekommen sein, dass sich an einem einzigen Fundort dermaßen viele vollständig erhaltene Töpfe befinden? Dr. Ansorge bringt seinen Fund mit einem „Katastrophenereignis“ in Verbindung. „Wahrscheinlich ein Brand vor oder um 1260. Offensichtlich mussten die Bewohner auf schnellstem Weg das Gebäude verlassen und konnten oder wollten die Vorratsgefäße nicht mitnehmen.“